Vergänglichkeit in der analogen und digitalen Fotografie
Die digitale Reproduktion der ersten Fotografie,
„Blick aus dem Fenster in Le Gras“, ist im Internet weit verbreitet. Das Originalbild, das Joseph Nicéphore Niépce im Sommer 1827 aufnahm, ist mit bloßem Auge nur schwer erkennbar, da es auf einer mit Bitumen beschichteten Metallplatte entstand. Im Jahr 1952 fertigte der Fotohistoriker Helmut Gernsheim zusammen mit Experten eine spezielle Aufnahme an und erhöhte den Kontrast, wodurch die Details besser sichtbar wurden.
Genau diese verbesserte Version kursiert im Internet als digitale Reproduktion der ersten Fotografie der Geschichte. Das Original befindet sich im Harry Ransom Center an der University of Texas in Austin. Zum Schutz vor Verfall wird die Fotografie unter speziell kontrollierten Bedingungen aufbewahrt, darunter in einem sauerstofffreien Umfeld, das ihren Zerfall verlangsamt.
Die analoge Fotografie
ist nicht nur eine Technik der Bildaufzeichnung, sondern auch ein einzigartiges Zeugnis der Vergänglichkeit. Die physische Beschaffenheit dieser Form – sei es die Silberemulsion auf Film oder das durch Licht fixierte Bild auf anderen Materialien – macht jedes Exemplar zu einem einzigartigen Relikt, das die Spuren der Zeit trägt. Jeder Kratzer, jede Farbveränderung oder andere Unvollkommenheiten, die durch die natürliche Alterung der Fotografie entstehen, erinnern uns an die Unausweichlichkeit des Vergehens und verleihen dem Bild zugleich eine emotionale Tiefe, die in digitalen Aufnahmen oft schwer zu erreichen ist.
Im Gegensatz dazu ist der Pixel
– die kleinste Einheit eines digitalen Bildes – eine mathematische Konstruktion, perfekt und unverändert in seinem ursprünglichen Zustand. Seine Perfektion resultiert aus der präzisen digitalen Kodierung von Informationen, die nicht dem Zahn der Zeit unterliegt. Das bedeutet, dass ein digitales Bild über Jahrzehnte hinweg unverändert bleiben kann, vorausgesetzt, das Speichermedium und die Technologien zu seiner Wiedergabe werden ordnungsgemäß gepflegt.
Diese Dichotomie zwischen analoger und digitaler Bildaufzeichnung
regt zum Nachdenken über die Natur von Erinnerung und Geschichte an. Einerseits vermittelt die analoge Aufnahme durch ihre organische Beschaffenheit und ihre Anfälligkeit für Veränderungen die Essenz menschlicher Erfahrung und zeigt, dass Schönheit oft in Unvollkommenheit und Vergänglichkeit liegt. Andererseits steht der digitale Pixel für das Streben nach Dauerhaftigkeit, Präzision und Makellosigkeit, was es uns in einer sich rasant entwickelnden technologischen Welt ermöglicht, Erinnerungen nahezu perfekt zu bewahren.
Materialität und Unvorhersehbarkeit
Man könnte also sagen, dass die analoge Fotografie mit ihrer Materialität und Unvorhersehbarkeit an die Flüchtigkeit des Lebens erinnert, während digitale Bilder mit ihrer Beständigkeit die Möglichkeit bieten, Erinnerungen ohne zeitlichen Verfall zu archivieren. Beide Formen der Bildaufzeichnung haben ihre Daseinsberechtigung, und ihr Nebeneinander verdeutlicht die Vielfalt unserer Wahrnehmung der Welt sowie unser Bedürfnis, die Zeit sowohl in ihrer Veränderlichkeit als auch in ihrer Beständigkeit festzuhalten.
Przemek Zajfert, März 2025