Die Erfindung der Fotografie
Für seine ersten Versuche
platzierte Niépce auf der Rückseite einer Camera obscura Papierblätter, die mit Silbersalzen beschichtet waren. Es war bekannt, dass Silbersalze (Silberchlorid) durch Lichteinwirkung nachdunkeln. Im Mai 1816 gelang ihm das erste Bild der Natur: ein Blick aus dem Fenster. Es handelte sich um ein Negativ, doch das Bild war nicht haltbar. Nach dem Öffnen der Camera setzte sich der Belichtungsprozess fort, das Bild wurde zunehmend schwärzer und verschwand schließlich vollständig. Niépce nannte dieses Verfahren „Retina“. Auf dieser Technik basiert die Aufnahmemethode des Projekts „THE 7th DAY“. Enttäuscht darüber, dass es keine Möglichkeit gab, diese erste Fotografie dauerhaft zu fixieren, wandte sich Niépce anderen Verfahren zu.
Im März 1817 richtete er seine Aufmerksamkeit auf Guajakharz.
Dieses gelbe Harz verändert seine Farbe unter Tageslicht von Gelb zu Grün und ist in Alkohol nur schwer löslich. Damit schienen prinzipiell dauerhafte Fotografien möglich. Allerdings wird diese Eigenschaft des Harzes nur durch UV-Licht ausgelöst. Die Glaslinsen seiner Camera obscura filterten dieses Licht jedoch weitgehend heraus, sodass das Guajakharz in der Kamera seine Eigenschaften nicht veränderte. Kontaktkopien in direktem Sonnenlicht waren zwar machbar, aber Fotografien mit der Camera obscura blieben ausgeschlossen.
Enttäuscht wandte sich Niépce anderen Substanzen zu, insbesondere dem Naturasphalt, auch als „Bitume de Judée“ bekannt.
In Frankreich wurde dieses zähe, schwarzbraune Mineral damals unter anderem in der Mine du Parc bei Seyssel gewonnen, etwa 100 Kilometer von seinem Landsitz entfernt. Fein pulverisierter Naturasphalt wurde in Lavendelöl gelöst und dünn auf Metallplatten (Kupfer, Weißblech), Stein oder Glas aufgetragen. Nach dem Trocknen auf einer heißen Eisenplatte konnte das beschichtete Material belichtet werden. Die Belichtungszeit für Kontaktabzüge betrug im Sonnenlicht mehrere Stunden, in einer Camera obscura sogar mehrere Tage. Je nach Lichtmenge härtete der Asphalt unterschiedlich stark aus. Nach der Belichtung konnten die weicher gebliebenen Stellen – jene, die weniger Licht abbekamen – mit einem Gemisch aus Lavendelöl und Weißöl ausgewaschen werden. In seiner „Notice sur l’Héliographie“ beschreibt Niépce dieses Verfahren ausführlich.
Obwohl die Erfindung der Fotografie anhand von Niépces Briefen auf das Jahr 1824 datiert werden kann,
stammt das bis heute erhaltene Bild erst aus dem Jahr 1827. Die Aufnahmen, die Niépce 1824 anfertigte, sind verschwunden – vermutlich, weil die damals teuren Materialien wiederverwendet wurden. Am 16. September 1824 schrieb Nicéphore Niépce an seinen Bruder Claude, der zu jener Zeit in England lebte: „Ich freue mich, Ihnen endlich mitteilen zu können, dass es mir dank der Verfeinerung meiner Verfahren gelungen ist, eine Ansicht zu erhalten, wie ich sie mir gewünscht hatte, obwohl ich kaum darauf zu hoffen wagte, da meine Ergebnisse bisher sehr unvollständig waren. Diese Ansicht wurde von Ihrem Zimmer aus aufgenommen, das Le Gras gegenüberliegt; zu diesem Zweck habe ich meine größte Camera obscura und meine größte Platte verwendet. Das Bild der Objekte wird mit erstaunlicher Klarheit und Treue wiedergegeben, bis hin zu den feinsten Details und ihren zartesten Schattierungen. Da dieser Kontaktabzug fast ungefärbt ist, kann man seine Wirkung am besten beurteilen, wenn man die Platte schräg betrachtet: Dann wird er durch die Schatten und Lichtreflexe für das Auge sichtbar; und dieser Effekt, muss ich sagen, mein lieber Freund, hat wirklich etwas Magisches an sich. (…) In der Zwischenzeit können Sie, Stand heute, den Erfolg der Anwendung meiner Verfahren auf Ansichten – sei es auf Stein oder Glas – als eine bewiesene und unbestreitbare Tatsache betrachten.“Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras
(französischer Titel: La cour du domaine du Gras – „Der Hof des Gutshofes von Le Gras“ oder Point de vue du Gras – „Ansicht von Le Gras“) ist die erste erfolgreich aufgenommene und bis heute erhaltene Fotografie der Welt. Sie wurde 1827 von Joseph Nicéphore Niépce in Saint-Loup-de-Varennes, Frankreich, hergestellt.
Przemek Zajfert, März 2025